Otto Aikido Phono 1+
#17
Ja, das ist der immer wieder entstehende Eindruck. Aber  Big Grin

Jetzt kommt die komplexe technische Sicht auf das Thema:

1. Bei egal welchem Tonabnehmerprinzip (MM, MI, MC) handelt es sich immer um einen Wechselspannungsgenerator, welcher wie jeder Schwingkreis eine Eigenresonanz aufweist. Diese nennt man beim Tonabnehmer auch Hochtonresonanz und die äußert sich dadurch, dass je nach gewähltem Abschluss der Pegel zu hohen Tönen hin ansteigt, der Tonabnehmer also hohe Töne lauter wiedergibt als tiefe. Über den Abschluss des Tonabnehmers (Abschlusswiderstand sowie - also nicht oder sondern und - Gesamtkapazität aus Kabelage und Eingangskapazität der Phonostufe) kann dieser Wechselspannungsgenerator bedämpft und somit zu einem linearen Frequenzgang gebracht werden. Warum das wichtig ist, kommt später; hier sehen wir uns nur mal die Wirkung von unterschiedlichen kapazitiven Abschlüssen an einem normalen mit 47k Ohm resistiv abgeschlossenen Phonoeingang an und versuchen den mal nur kurz zu quantifizieren; ab 5 kHz steigt der Pegel um + 0,5 dB, ab 6 kHz um + 1 dB, bei 8 kHz sind es +2,5 dB und bei 15 kHz sind es -4dB (also ziemlich deutlich leiser)

   

2. Die elektromagnetische Schneidköpfe zur Herstellung der Schallplattenmatrize aka Mutter wandeln den Pegel des aufgezeichneten Signales immer proportional der Geschwindigkeit oder „Schnelle“ des Schneidstichels und damit abhängig vom Produkt aus Amplitude mal Frequenz. Für gleichen Pegel ist deshalb die Amplitude bei niedrigen Frequenzen größer und bei hohen Frequenzen kleiner. Das nennt man auch Schneidkennlinie

   

Die blaue Linie zeigt also prinzipiell wie der Schneidstichel das Signal "verzerrt" und die rote Linie wie das aus der Rille geholte Signal in der Phonostufe wieder entzerrt werden müsste. Der Graph ist aber leider etwas simplifiziert. Genau genommen gibt es seit 1976 sogar zwei sog. Schneidkennlinien. Davor galt die RIAA, danach die neue Kennlinie nach IEC

   

Und man sieht auch, dass diese ominöse Schneidkennlinie gar nicht so glatt und schmuck ist, wenn man diese nach den genormten Formeln errechnet sowie dass sich da 1976 etwas eigentlich dramatisch geändert hat. Auf den Unterschied gehe ich hier aber nicht ein sondern wir schauen uns mal an, welche Auswirkung das nicht lineare Eingangssignal (die Hochtonresonanz) auf das Ergebnis der Entzerrung hat. 

- Bei 5kHz würde die Entzerrung den Pegel um -8,12 dB absenken, da wir hier aber vom TA kommend +0,5 dB haben, spielt es hier auch etwas lauter; Gleiches gilt für 6 kHz und8  kHz. Der obere Mittelton wird also leicht überbetont und es klingt im Mittelton heller weil der TA eben nicht linear betrieben wird
- Bei 15 kHz würde die Entzerrung den Pegel um -17,7 dB absenken. Der TA gibt das Signal aber -4 dB zu leise weiter, so dass es also im Hochton dann deutlich leiser spielt als erforderlich und es klingt insgesamt weniger aufgelöst und dumpfer/ dunkler, weil eben der TA nicht linear betrieben wird

Wurde die LP nach IEC gefertigt, dann würden diese beiden dargestellten Effekte noch deutlicher und wird eine nach IEC gefertigte LP mit der alten RIA wiedergegeben, dann klingt es insgesamt komisch bzw. obenrum zu hell und untenrum zu dunkel. Ebenso gilt, wer den TA nicht technisch korrekt abstimmt, der braucht sich über die Genauigkeit der Entzerrung keine echten Gedanken machen bzw. wäre dann eine grottenschlechte Genauigkeit sogar besser, weil der vorne am TA bereits eingefügte Fehler dadurch (quasi automatisch) reduziert würde. Das ist auch mit eine Erklärung dafür, dass in der "Ich hör´s doch Fraktion" mitunter die eigentlich technisch schlechtere Phonostufe favorisiert wird.

3. Die Entzerrung in der Phonostufe kann auf verschiedene technische Arten umgesetzt werden. 

Man unterschiedet aktiv und passiv, wobei in der passiven Lösung ein Entzerrungsnetzwerk bestehend aus Widerständen und Kondensatoren in der Gegenkopplung hängt. Der Effekt auf den resultierenden Frequenzgang bei dieser Lösung ist aber leider auch von der Last am Ausgang der Phonostufe abhängig. So eine Lösung kann sich also im resultierenden Frequenzgang und damit auch im klanglichen Ergebnis/ Erlebnis je nach nachfolgendem Gerät (Vollverstärker, Vorstufe) und der technischen Auslegung des dort benutzten Eingangs unterscheiden. 

Bei der passiven Lösung sitzen ebenfalls Entzerrungsnetzwerke mit Kondensatoren und Widerstände im Signalweg, allerdings zwischen Eingangs- und Ausgangsverstärkerstufe. Darüber lassen sich bis auf den Miller-Effekt von außen wirkende Einflüsse wie vorhin kurz angerissen (z.B. technische Auslegung des benutzten Eingangs im nachfolgenden Gerät) mehrheitlich umgehen.

Was beiden Lösungen aber gemein ist, das ist das Verhalten der Kondensatoren im Entzerrernetzwerk. Kondensatoren drehen je nach anliegender Frequenz die Phase. Das ergibt durch die Entzerrung sowas wie Phasensalat. 

Hinzu kommt hier der Kostenfaktor. Irgendwo gibt es im Netzt Messergebnisse einer Pro Ject Phonobox, welche aufzeigen, dass in der Fertigung bei den Bauteilen 5 Cent gespart haben werden sollen und deshalb die Zeitkonstanten und damit die Schneidkennlinie in der Serie gar nicht mehr eingehalten werden; die beworbenen Messergebnisse und technischen Daten zum gerät stammen also nicht vom Seriengerät sondern vom Prototypen.

4. Die bislang dargestellten Punkte zeigen aber auch auf, dass die immer wieder angewandten Bewertungskriterien für Tonabnehmer und Phonostufen gar nicht zielführend sind. Es geht also nie um Bass, Mittelton und Hochton. Die Qualität des Phonozweiges muss also grundsätzlich anderes bewertet werden.  Cool  Tongue Cool
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Otto Aikido Phono 1+ - von bachmanns - 30.10.22, 11:03
RE: Otto Aikido Phono 1+ - von Lenni - 30.10.22, 11:36
RE: Otto Aikido Phono 1+ - von franky64 - 30.10.22, 12:36
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RE: Otto Aikido Phono 1+ - von Lenni - 01.11.22, 14:42
RE: Otto Aikido Phono 1+ - von gelöschter_User - 01.11.22, 14:49
RE: Otto Aikido Phono 1+ - von Lenni - 01.11.22, 15:04

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